22.03.03:

Neue Erkenntnisse über das Gebäude Böcklerstraße 28

Das zum Abbruch vorgesehene Gebäude Böcklerstraße 28 (hinter "Paolo") unterscheidet sich grundsätzlich von den benachbarten Gebäuden: Es steht stark schiefwinklig zur Straße und wird nur durch einen (späteren) Vorbau mit der Fassade zur Straße hin ausgerichtet. Daraus läßt sich schließen, daß das Gebäude bereits vor der Anlage der damaligen Gartenstraße (sozusagen im "freien Gelände³) erbaut wurde und damit wesentlichäälter ist als die benachbarten Geääude. Das Gebäude ist bereits auf der Heslacher Urkarte von 1825/26 eingetragen, allerdings mit einem Anbau in Richtung Böblinger Str.

Auf der Dorfdarstellung "Heslach" im Kieser¹schen Forstlagerbuch von 1680 (Bassler S. 66) ist das Gebäude Böcklerstr. 28 in seiner charakteristischen Längsform zu erkennen, woraus zu schließen wäre, daß es schon vor 1680 erbaut worden sein muß. Der mögliche Einwand, daß Ortsbilddarstellungen jener Zeit oft eher symbolisch und wenig realistisch waren, kann anhand der realistischen Darstellung der "Alten Kirche" und des heute noch erhaltenen Fachwerkhauses Hasenstr. 11 (16. Jh.) sowie einer den Realismus der Darstellung bestätigenden Aussage des zustÄndigen Bearbeiters beim Hauptstaatsarchiv Stuttgart mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden.

Die Besichtigung des Hauses durch die Architekturhistorikerin Dr. Ellen Pietrus ergab allerdings keine eindeutigen visuell erfaßbaren Datierungshinweise. Eine sichere Datierung wäre nur über aufwendige Materialuntersuchungen (Dendrochronologie) möglich. Baurechtsakten von 1844 und 1883 belegen im EG einen Viehstall mit Stallpflaster und zwei Kammern, im OG zwei heizbare Stuben und einen besteigbaren (!) Kamin. Unter Paolos Hof befindet sich ein von seinem Keller aus zugänglicher Keller, der möglicherweise zu dem auf der Heslacher Urkarte eingetragenen Anbau gehört.

Da nach allem, was zu hören ist, der Abbruch der Böcklerstraße 28 vollzugsreif ist, sollte für die Dokumentation der Heslacher Ortsgeschichte vor einem Abriß wenigstens eine sachkundige Bauaufnahme (fotografisch, beschreibend und vermesserisch) vorgenommen und dafür gesorgt werden, daß auf eventuelle Bodenfunde geachtet wird. Bei der spurlosen Beseitigung eines über 325 Jahre alten Gebäudes sollte die Mahnung des Mittelalterhistorikers Dr. Oliver Auge beim aktuellen Festvortrag zum 775jährigen Jubiläum der ersten urkundlichen Erwähnung Stuttgarts ernst genommen werden: “Für Stuttgart trifft das Schlagwort der ,archäologischen Wüsten‘ zu. [Š] Das hängt mit der geradezu unbedenklichen Bautätigkeit im Zentrum der Stadt in der unmittelbaren Nachkriegszeit zusammen, wobei Befunde für immer beseitig wurden, ohne sie zu erfassen oder auszuwerten.³ (Amtsblatt vom 18. März 2004, S. 10)

Wolfgang Jaworek