11.03.2004:

Heslachs Geschichte und die Abrißpläne auf historischem Areal

Die Dinge in Sachen Abriß und Neubebauung in der Böblinger Straße 159 ("Paolo") und Böcklerstraße 28, 30, bekannt geworden und heftig debattiert und kritisiert im vergangenen Sommer, scheinen sich nun zu überstürzen: Paolo hat zwar das mündliche Versprechen des Eigentümers erhalten, daß er in diesem Haus bleiben kann, solange er will. Aber danach?

Jedenfalls haben die Bewohner des Hauses Böcklerstraße 28 eine Kündigung bekommen, bis 1. April muß das Haus geräumt sein. Dann werden wohl bald die Abrißbagger für dieses Haus anrollen. Paolo ist dann später dran, in 1, 3, 5 Jahren? Oder, wie versprochen, wenn er freiwillig sein Ristorante aufgibt? Die Neubebauung ist jedenfalls beschlossene Sache, auf dem Baurechtsamt liegt auch ein Bauantrag für das gesamte Areal vor.

Bei so einschneidenden geplanten Veränderungen sollte aber berücksichtigt werden, daß der Bihlplatz und seine nächste Umgebung die Keimzelle des Weingärtnerdorfes Heslach ist!

Hier stand im 15. Jh. die erste Wallfahrtskapelle, um 1500 durch eine größere Wallfahrtskirche "zu unserer lieben Frau zu Heslach" ersetzt. Ihre schönen Quadersteine fanden nach dem Abriß in der Reformation beim Bau der Alten Kanzlei in Stuttgart Verwendung. Auf dem Bihlplatz wurde 1580 auch die nachfolgende, dann evangelische Kirche gebaut (Herzog Ulrich hatte die Reformation eingeführt). Sie war damals umgeben von einem Friedhof (aufgelassen 1798) und stand 300 Jahre lang (bis 1882) im Mittelpunkt des Weilers Heslach, auf dem damaligen "Kirchplatz", auch "Ochsenplatz" genannt. Auch das Rathaus und die Schule waren dort in einem bis ins 17. Jh. zurückgehenden Gebäude untergebracht (1951 für den modernen Verkehr abgerissen).

Ein Gasthaus, der "Ochsen", und kleine Weingärtnerhäuschen säumten den Platz vor über 130 Jahren (die letzten wurden 1984 für den LBBW-Neubau abgerissen). Von diesem zentralen Heslacher Platz weg führte nach einem alten Plan von 1825/26 die damalige Gartenstraße, heute Böcklerstraße. Die heute sehr ärmlichen kleinen Häuschen Böcklerstraße 28 bis 36 gehören zur ersten Bebauung in diesem Alt-Heslacher Bereich und sind somit Zeugnisse der Heslacher Geschichte, der Anfänge des Dorfes um den alten Kirchplatz herum. Aus dieser frühen Zeit sind leider nur noch in der Hasenstraße einige wenige Gebäude erhalten.

Zugegeben, die Häuser Böcklerstraße 28 bis 36 sind in einem jämmerlichen Zustand. Das Adreßbuch aus dem Jahr 2000 führt für das Haus Nr. 28 neun ausländische Namen auf. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß diese Heslacher dort unter bedauernswerten und ärmlichsten Verhältnissen leben. Jahrzehntelange Vernachlässigung der Gebäude hat zum heutigen maroden und absolut menschenunwürdigen Zustand geführt. Natürlich ist eine Sanierung unumgänglich.

Abriß und Neubebauung mit geschichtslosen und austauschbaren Baukomplexen kann jedoch nicht die einzige Alternative sein - in einem heimatgeschichtlich so wichtigen Areal wie rund um den Bihlplatz! Sollte man nicht alles versuchen, diese letzten Zeugnisse Alt-Heslacher Geschichte vor der endgültigen Vernichtung zu bewahren und das Gebiet sinnvoll neu zu beleben? Wir Heslacher haben schon so viel unserer frühen Wurzeln verloren!

Nach einem in der Neuzeit hauptsächlich verkehrsbedingten Abdriften in Armut und Verfall weiter Heslacher Bezirke (“ein sterbendes Viertel³, 1978) werden uns die bereits realisierten und noch geplanten Sanierungen sicherlich eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität bringen. Eine Fortführung der Sanierung unter Berücksichtigung unseres geschichtlichen Erbes auch rund um den Bihlplatz öönnte unseren Stadtteil wieder zu einem interessanten und liebenswerten Wohnbezirk machen!


Hilde Hoschek